von Waltraud Brunst
Überwältigend monumentales Meisterwerk
Ist es zu fassen, dass seit Menschengedenken keiner der großen Mannheimer Oratorienchöre sich an Händels „Israel in Ägypten“ gewagt hat? Landeskantor Johannes Michel hat vor ein paar Jahren mit seinem Kammerchor an der Christuskirche immerhin eine reduzierte Fassung dargeboten. Nun hat also die couragierte Christiane Brasse-Nothdurft mit ihrer ambitionierten Melanchthonkantorei Georg Friedrich Händels Meisterwerk – sein wichtigstes nach dem „Messias“ – in der fast ausverkauften Christuskirche aufgeführt.
Und sie hat damit, in der englischen Originalsprache übrigens, einen überwältigenden Erfolg errungen. Das Werk „Israel in Egypt“ war ursprünglich dreiteilig angelegt; auf Teil eins mitsamt Ouvertüre wurde aber nach nur vier Aufführungen verzichtet, so dass auch in Mannheim nur „Exodus“ und „Moses’ Song“ erklangen, ergänzt durch die vorangestellte Ouvertüre zu Händels Oratorium „Salomo“.
Kühne Tonsprache
Die monumentale Aufführung für sechs Soli, Doppelchor und Orchester war bei Sabine Goetz und der erst 19-jährigen, aber bestens ausgebildeten (bei Melanchthon und dem NTM-Kinderchor) Antonia Schuchardt (beide Sopran), zudem Thomas Nauwartat-Schultze (Altus), Andreas Weller (Tenor), Timothy Sharp und Jens Hamann (beide Bass) in besten Händen. Die etwa 80-köpfige Melanchthonkantorei und das Neumeyer-Consort, ein Spezialensemble für Alte Musik, trugen das Ihrige zum Erfolg der Aufführung bei.
In ihrer Entstehungszeit Mitte des 18. Jahrhunderts muss Händels unkonventionelle, oft kühne Tonsprache elektrisierend gewirkt haben. Die tonmalerische Darstellung der biblischen Plagen (Insekten, Blitz, Donner und Hagelschlag) in den anspruchsvollen Chören, die koloraturenreichen Arien, außerdem die originellen Duette (für zwei Soprane, für die beiden Mittelstimmen Alt und Tenor und für zwei Bässe) und die großartigen Orchesterpassagen unter der ebenso engagierten wie souveränen Leitung von Christiane Brasse-Nothdurft schlugen das Publikum für zwei Stunden in ihren Bann.
Nach dem triumphalen Schlusschor mit Antonia Schuchardts Sopransolo „Sing ye to the Lord“ erhob sich in der Mannheimer Christuskirche ein geradewegs gewaltiger Jubel; vor allem galt dieser dem stark geforderten Chor, dem allein 28 der 39 Programmnummern anvertraut waren.
An diesem Abend bekräftigte die Melanchthonkantorei aus der Neckarstadt-Ost wieder einmal nachdrücklich, dass sie zu den leistungsfähigsten Oratorienchören der Metropolregion gehört. Die Ovationen waren erst mit einem Da capo des Schlusschores zu stillen.
Kantatengottesdienst mit Kantate von Johann Sebastian Bach "Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust", BWV 170
Mitwirkende:
Thomas Nauwartat-Schultze, Altus
Carmenio Ferrulli, obligate Orgel
Olaf Gramlich, Oboe - Musiker der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Melanchthonkantorei Mannheim
Leitung: Christiane Brasse-Nothdurft
Predigt: Pfr. i. R. Norbert Dietel
Zum Inhalt:
Der verschnörkelte Titel dieser Kantate deutet es schon an: Hier haben wir es mit bildhafter Barocksprache zu tun, die den Hörer aufrütteln will. Es ist eine Predigt in Versform, die sich auf eine Passage aus der Bergpredigt bezieht: Menschenliebe und Achtung vor dem Nächsten versus bloße Gesetzestreue. Das "Sündenhaus" der Welt, in dem Hass, Neid und Feindschaft regieren, wird einem "Himmels-Zion" gegenübergestellt, in dem die Seele Ruhe und Geborgenheit finden kann.
Die besondere Besetzung:
Diese Kantate ist Bachs erste Solokantate für den Leipziger Gottesdienst: Ein Alt singt sämtliche Arien und Rezitative; es gibt weder einen Eingangschor noch einen Schlusschoral.
Die Besetzung des Orchesters ist feinsinnig kammermusikalisch: ein Streichquintett, eine Oboe d'amore und eine solistisch hervortretende Orgel. Unsere Kantate ist tatsächlich die einzige überlieferte Kantate Bachs, die eine zweimanualige Orgel verlangt. Die frisch gewartete Heintz-Orgel mit ihren charakteristischen Soloregistern ist dafür das ideale Instrument.
Die Solisten:
Die Kantate ist eine "Paraderolle" für jeden Alt. Alle bedeutenden Altistinnen und Altisten der Welt haben sie gesungen. Bei uns wird sie von Thomas Nauwartat-Schultze interpretiert werden, der sich in der barocken Literatur mit seiner ausdrucksstarken Stimme einen hervorragenden Ruf erworben hat.
Den obligaten Orgelpart übernimmt Carmenio Ferrulli , Assistent der Christuskirche und ausgewiesener Spezialist für BACH.
Die Predigt zur Bachkantate hält Pfarrer und Musikkenner Norbert Dietel.